(German)
„Um ein Sein zu haben, brauchen wir ein Nichtsein. Es ist ein fester Bestandteil von uns selber. Um zu definieren, wer wir sind, müssen wir zuerst definieren, wer wir nicht sind. Wir fühlen uns zugehörig, weil wir andere ausschließen.“
Charles Fréger in “Wilder Mann“
Der Mensch ist existenziell ständig auf der Suche. Das Ego sucht sich immer seinen Platz in der Gruppe, wobei es sich gleichzeitig mit seinen Zwiespälten und Gegensätzlichkeit konfrontiert sieht: Eine immer währende Suche zwischen Angst, Getriebensein, Scheitern und den Erfolg.
In der Gruppe, beim Stammtisch, in der Clique, im Verein oder in der Familie - immer inszeniert der Mensch sein Ich aufs Neue. Die Gemeinschaft legt Wertvorstellungen, Rituale, Normen und Rollen vor, befriedigt den Wunsch nach Anerkennung, bietet Schutz, Abgrenzung nach außen. Es bilden sich Intimitäten, Hierarchien und Machtstrukturen. Ich möchte in meinen Bildern dieses Phänomen ergründen: Den Archetypus Mensch, seine Grenzbereiche, die Ängste und Antriebe und schließlich die existenzielle Suche.
Die geschlossene Gesellschaft ist eine Veranstaltung, bei der alle Gäste vorher angemeldet sind und auf einer Gästeliste stehen, eine Veranstaltung, die unter Ausschuss der Öffentlichkeit stattfindet. Doch was geschieht in diesem inneren Zirkel, dem elitären Kreis, dem kleinen Mikrosmos unserer Gesellschaft?
Es ist mein Anliegen, Rollen zu entwerfen und zuzuweisen, diese wieder zu entziehen und zu vertauschen. Ich setzte Gruppenführer, Außenseiter, Anstifter, Verführer, Regentin, Rebell und unerwünschter Mitläufer in Szene. Indem die verschiedensten Gestalten auftreten, wird der Bildraum zum Bühnenraum. Das, was man war, ist, sein kann: Überziehungen, Verwandlungen, Erweiterungen aus Keimen, Wünschen und Erinnerungen. Die Figuren erscheinen hierbei in einem neuen Blickwinkel, in einem andern Licht, in düsteren Kehrseiten und absurden Spiegelungen.
Groteske Charaktere, skurrile Persönlichkeiten und fantastische Wesen geben ihre Vorstellung, entspringen aus ungeahnten Zwischenräumen, aus den Urzeiten, kommen an die Oberfläche, schälen sich aus der Farbe und präsentieren sich in bester Aufmachung. Diese Wahrzeichen des Andersseins, der buchstäblichen Außenseiter werden ein Teil unseres Bewusstseins.
Die Figuren der Sippschaft zitieren historische Porträts, die Inszenierung gleicht die der von früheren Herrscherporträts. Gleichzeitig wird dieses Medium ad absurdum geführt. Die vertraute Bildsprache wird gebrochen, der Betrachter abgeholt und zugleich irritiert. Denn nicht die idealisierte Seite zur wird Schau getragen, sondern eine absurde Spiegelung, die bewusst die Kehrseite des Ideals zeigen.
Die Bilder von Standesherren in herrschaftlicher Pose, den alten Adel in prunkvollen Gewändern, Ritter geschmückt in ihren Waffen und Rüstungen zu Pferde, welche sich mit erhobenen Kopf dem Betrachter zuwenden, sind im kollektiven Bildgedächtnis.
Aber hinter dieser Fassade steht der Mensch mit existenziellen Antrieben, Eitelkeiten, Irrungen, Hemmungen, Schwächen. Die Bildnisse tragen keine Insignien der Herrschaft, sie sind nackt, anstatt prunkvollen Schlossmauern thronen sie über einen Abgrund, anstatt glänzende Helme auf ihren Köpfen ragen sie Tierhäupter aus ihrem Leib und ihre Begleiter sind keine stolze Pferde sondern eher Geschöpfe aus dem Jenseits. Sie entsprechen keinem Schönheitsideal, im Gegenteil - sie sind deprimiert, verloren, herrschsüchtig, halbstark, albern, eitel, komisch oder trivial.
Durch den Bruch mit dem alten Medium der Herrscherporträts entsteht eine unterschwellige Komik, ein sarkastischer Blick auf die Absurdität des menschlichen Verhaltens. Die Dramatik entsteht hier nicht in der Handlung, sondern in der Psychologie, die jeder für sich selbst entdecken kann.
Die Serie zeigt so am Ende eine breite Aufstellung von Figuren - „Die geschlossene Gesellschaft“ – die dem Betrachter gegenübersteht. Sie erscheinen uns gleichermaßen fremd und vertraut. Ist es eine Ahnengalerie aus grauer Vorzeit oder entspringen die Figuren doch dem Hier und Jetzt Art unheimliche Sippschaft, eine skurrile Familie? Sind es ferne Verwandte, sind sie gar Du und Ich?
Der Betrachter erkennt sich zugleich in den Menschen und in den Tieren wieder, gleichzeitig möchte er jedoch von preisgegebenen Eigenheiten und Wesensarten Abstand nehmen.
Die scheinbare Vertrautheit wird gebrochen, durch das Komische, Absurde oder Unheimliche. Durch das Spiel mit den Rollen und den Klischees können die Bilder zu Projektionsfiguren werden. Diese Gleichzeitigkeit ermöglicht die Übertragungen der verschiedenen Rollen auf sich selbst oder andere. So werden sie zu Symbolfiguren, die jeder auf sein Leben übertragen kann und so wird auch der Betrachter auf einfachste und unmittelbare Art Teil einer geschlossenen Gesellschaft. Bestenfalls soll so eine Irritation entstehen.